Bei einem meiner letzten Beratungsprojekte warf irgendwann ein Produktmanager lapidar den Satz in die Runde: „Wenn Produktmanagement einfach wäre, dann hieße es Vertrieb.“ Zunächst haben alle herzhaft gelacht – waren ja nur Produktmanager anwesend!
Für mich war die Situation jedoch Grund genug, sich intensiver mit der Aussage zu beschäftigen. Gemeinsam durchleuchteten wir die beiden Funktionen. Und schnell wurde klar, dass die Anwesenden überhaupt kein klares und einheitliches Bild über ihre Funktion und Aufgaben im Produktmanagement hatten geschweige denn die Vertriebsfunktion hinreichend deutlich beschreiben konnten. Ich stellte daraufhin den Produktmanagern eine einfache Frage: „Wofür bezahlen Ihre Kunden?“ Und auch hierzu kamen mehr Meinungen als Personen anwesend waren!
Vertrieb und Produktmanagement sind sicherlich nicht dasselbe. Doch kann das eine nicht ohne das andere. Studien belegen, dass branchenübergreifend rund die Hälfte der Produktmanager nicht wissen, wofür ihre Kunden bereit sind zu zahlen. Fragen Sie doch mal ihre Kollegen? Zu welcher Hälfte gehören Sie?
Neue Rolle oder alter Hut? Produktmanager als Service Designer
In der Tat ist die Antwort gar nicht so einfach. Der Wert für den Kunden lässt sich nur selten am Preisschild ablesen. Vielmehr sind es die vielen Kontaktpunkte und Interaktionen, die sogenannten Touchpoints zwischen Unternehmen und (potenziellen) Kunden vor, während und nach der eigentlichen Kaufentscheidung, die den wahren Kundennutzen widerspiegeln. Die effiziente und effektive Vernetzung der Touchpoints ist entscheidend für eine positive Kundenbeziehung und User Experience. Dabei haben nicht alle Touchpoints den gleichen Wert für den Kunden. Es gilt daher die aus Kundensicht entscheidenden Touchpoints zu fokussieren, die sogenannten ‚Moments of Truth‘, und diese bestmöglich im Sinne des Kunden und der durch diesen repräsentierten Zielgruppe zu erfüllen. Sich nur auf das Produkt und dessen Funktionalität zu konzentrieren, greift demnach zu kurz. Produktmanager tun gut daran, jeden ‚Moment der Wahrheit‘ als wichtigen Service-Baustein und die unternehmerische Gesamtleistung als Service-Konzept zu betrachten. Nicht ohne Grund nimmt das Thema Service Design gerade richtig Fahrt auf (mehr zu Service Design unter www.service-design-network.org). Service Designer helfen dabei, methodisch kunden- und marktgerechte Dienstleistungen entlang der Customer Journey zu entwickeln. Eigentlich eine originäre Aufgabe des Produktmanagers. Sind Service Designer nun die besseren Produktmanager? Oder handelt es sich nur um eine andere Beschreibung dessen, was Produktmanager ohnehin schon tun?
Meine Rolle – Deine Rolle?!
Das Beispiel des Service Designers zeigt, dass Produktmanager in der Praxis viele Bezeichnungen und Rollen tragen. So sind sie u.a. Innovator, Product Owner, Unternehmer im Unternehmen, Orchestrator, Netzwerker, Prozessverantwortlicher und Lebenszyklusmanager in einer Person. Nicht selten werden sie aber auch als ‚Tauchsieder‘ und ‚Bremsklotz‘ betitelt. In alles hängen sie sich rein, überall wollen sie mitreden. Oft braucht es jedoch mehr als nur gesunden Menschenverstand. Die wichtigste Erkenntnis, die ich aus zahlreichen Beratungsprojekten ziehen konnte ist, dass Produktmanager nicht alles Wissen und auch nicht alles können und dürfen müssen. Aufgrund der Aufgabenvielfalt nehme ich jedoch häufig wahr, dass es in der Praxis genau umgekehrt läuft – mit der Folge, dass Produktmanager regelmäßig überlastet und frustriert sind. Ich empfehle daher häufig, die Funktion bzw. die Stelle des Produktmanagers in ihre relevanten Rollen aufzugliedern und diesen entsprechende Aufgaben zuzuordnen. Schnell kommt man dann auf 8-10 Rollen und stellt fest, dass man definitiv nicht allen in gleichem Maße gerecht werden kann. Zwangsläufig schließt sich die Frage an, welche Rollen tatsächlich in das Hoheitsgebiet des Produktmanagements fallen und ob das Know-how und die Kompetenzen (Rechte) zur Verfügung stehen, um diese Rollen auch entsprechend ausüben zu können. Produktmanager sind keine Produktentwickler und auch keine Marketingmanager. Sie müssen aber bspw. in ihren Rollen des Orchestrators und Prozessverantwortlichen für effiziente und kundenorientierte Abläufe sorgen. Auf den ersten Schritten auf dem Weg zu professionellem Produktmanagement kommt es also darauf an, sich seiner eigenen Fähigkeiten und Rollen bewusst zu werden und diese transparent und mit entsprechender Haltung kundzutun und wo nötig auch zu verteidigen.
Ein Modell sagt mehr als tausend Worte!
Das nebenstehende Modell gibt einen Überblick über die Schwerpunktthemen, in die Produktmanager mehr oder weniger stark involviert sind. Auch wenn diese Begriffe häufig branchen- und unternehmensseitig unterschiedlich bezeichnet oder verwendet werden, so beinhaltet das Aufgabenspektrum des Produktmanagers doch immer mehr oder weniger strategische und operative Tätigkeiten. In dem Produktmanagement-Modell sind die äußeren Kränze strategisch und die innen liegenden Bereiche operativ ausgerichtet. Auf Grundlage strategischer Entscheidungen entsteht ein Geschäftsmodell, dass dann in einem operativen Produktentwicklungsprozess münden kann (rechtes Drittel) und parallel oder im weiteren Verlauf durch Vermarktungsprozesse begleitet, ausgerollt und in den operativen Lebenszyklus überführt wird (linkes und unteres Drittel). Die Rollen des Produktmanagers gestalten sich folglich je nach Tätigkeitsbereich ganz unterschiedlich. Um dies zu verdeutlichen, betrachten wir die verschiedenen Teilgebiete am besten noch einmal separat.
Teilgebiet: Strategisches Produktmanagement – Von der Strategie bis zum kundenzentrierten Geschäftsmodell
In diesem Teilgebiet wird der Produktmanager strategisch gefordert. Markt- und zielgruppenorientiertes Denken und Handeln auf Geschäftsfeldebene gehören genauso dazu wie das effiziente Zusammenwirken beteiligter Funktionen und Aufgabenträger, um das Produkt- und Serviceportfolio nachhaltig am Markt zu positionieren. Das Geschäftsmodell (business model) enthält alle wesentlichen Komponenten für eine erfolgreiche Produkt-/Service-Positionierung. Als Unternehmer im Unternehmen müssen Produktmanager die gesamte Bandbreite unternehmens- und produktpolitischer Entscheidungen beurteilen und steuern können. Dazu benötigen Sie aussagekräftige KPI (Key Performance Indicator – Kennzahlen) und die Kompetenzen (Rechte), schnell und eigenverantwortlich handeln zu dürfen. Auf dieser Grundlage werden neue oder bestehende Produkte und Services (weiter-)entwickelt und vermarktet.
Teilgebiet: Produktentwicklung – Von der Idee bis zum marktreifen Prototyp
An der Produktentwicklung sind häufig unterschiedliche Interessensgruppen und Rollen beteiligt. Die Basis bilden die Bedürfnisse der internen oder externen Kunden sowie die wirtschaftlichen Ziele der Auftraggeber. Die Auftragsklärung umfasst das Formulieren von Produktzielen und Projektzielen. Im Rahmen der Produktkonzeption werden Anforderungen ermittelt und das Produkt beschrieben. Bei der Produktgestaltung stehen die Markttauglichkeit des Prototyps sowie Termin- und Budgetziele im Fokus. Nicht selten sind dabei Widersprüche und Interessenkonflikte zwischen Anspruchsgruppen zu lösen. Produktmanager übernehmen in dieser Situation häufig die Rollen des Orchestrators oder des Prozessverantwortlichen, aber durchaus auch stellvertretend die Perspektive des Kunden in der Rolle des Product Owner, wenn es um die Beurteilung von Inkrementen oder Entwicklungsergebnissen geht.
Teilgebiet: Produktmarketing – Von der Nutzenargumentation bis zur erfolgreichen Kampagnensteuerung
Produktmarketing ist der Aufgabenbereich im Produktmanagement, der den Lebenszyklus eines Produktes wie kein anderer Bereich maßgeblich unterstützt und beeinflusst. Im Spannungsfeld zwischen Kunden, Wettbewerbern und dem eigenen Unternehmen müssen Produktmanager dafür Sorge tragen, dass ihre Produkte optimal vermarktet werden. Damit erhält das Produktmarketing neben seiner operativen Bedeutung zwangsläufig eine strategische Komponente. Vor diesem Hintergrund fungiert der Produktmanager häufig als fachlicher Ansprechpartner und Schnittstellenmanager zwischen den beteiligten Rollen. Darüber hinaus verantwortet er den gesamten Lebenszyklus entlang der Customer Journey. Dazu benötigt er Fähigkeiten, die über das normale Maß an fachlichem Know-how zu technischen Merkmalen und Spezifikationen hinausgehen.
Gute Produktmanager fallen nicht aus der Rolle!
Produktmanager, die ihre Rollen kennen und diese auch erfolgreich ausüben können, sind nicht nur zufriedener, sondern leisten einen echten und nachweisbaren Mehrwert für ihre Kunden und ihr Unternehmen. Das bedeutet nicht, dass Produktmanager alle Teilgebiete an sich ziehen und beherrschen müssen. Wichtig ist, dass sie nicht aus ihrer Rolle fallen! 😉
Die Nachfrage nach guten und erfahrenen Produktmanagern reißt nicht ab und wächst sogar weiter – der Blick in XING, Monster oder Linkedin und die Stellenanzeigen zu Produktmanagern belegen diesen Trend. Gut ausgebildete Produktmanager gibt es nicht an jeder Ecke! Wie Sie sich fit für die Praxis machen können und sich zum kompetenten und gefragten Kollegen machen, erfahren Sie z.B. hier: ibo.de/produktmanagement